Was würden Sie tun, wenn Sie sich als Hartz-IV-Empfänger bewerben müssten? Diese Frage wurde mir 5 Minuten vor Schluss eines Workshops „Selbstpräsentation“ gestellt. Wie geht Selbstmarketing mit wenig Geld? Mit meiner Antwort bin ich nicht zufrieden. Ich versuche eine andere:
Low Budget Bewerbung
Wenn Sie Selbstmarketing zum Erfolg zu bringen wollen, aber wenig Geld haben, dann gucken Sie doch mal, wie Low Budget Marketing funktioniert. Daraus lassen sich Möglichkeiten ableiten: Fragen stellen. Kontakte knüpfen. Spannende Geschichten erzählen. Menschen erreichen und begeistern. Sichtbar sein, Interessantes tun. So dass die Zuhörer Ihre Story weiter tragen. Bis jemand sagt: „…will ich kennen lernen, kann mir eine profitable Zusammenarbeit gut vorstellen…“ Und dann im Gespräch mit Ihnen: „Sie können das! Wollen Sie?“
„Ja, aber…!“
Wer geneigt ist, mit „Ja, aber…!“ oder „Der hat gut reden!“ zu antworten, kann jetzt sofort wegklicken. Wer glaubt, ich würde vom hohen Sockel herab predigen und nicht erfassen, wie sich eine klamme Situation anfühle, kann hier mit dem Lesen aufhören.
Wenn jedoch die Frage „Wie?“ aufploppt, dann kann sich die weitere Lektüre lohnen. Ja, es stimmt: Ich weiß nicht, wie sich Hartz IV heute für Sie anfühlt.
Aber ich erinnere mich, wie es sich für mich anfühlte, als ich auf einem trockenen Brötchen kauend durch Aachen lief. Ein Freund traf mich und fragte: „Kommst du mit in die Mensa?“ Nein, kein Geld. „Ich lade dich ein.“ Mein nächster Schritt war: Prüfung für den Taxischein ablegen. Schon damals waren die Stundenlöhne mau, trotzdem. Dort hab ich genug zum Leben erwirtschaftet – und für den Start in eine andere Etappe.
Next Step: Ich erinnere mich, wie es sich anfühlte, als ich mir Geld geliehen habe, um mein Auto zu betanken. Nur so konnte ich auf den Markt fahren und Socken verkaufen (Sie wissen, dass ich damit ich mein Hauptstudium finanziert habe. Socken statt Bafög). Ich musste an jenem Tag nicht einmal Gewinn machen, ich musste nur Umsatz generieren, um wieder liquide zu werden. Einfaches Spiel? Keineswegs – denn einen Platz für meinen Verkaufsstand hatte ich noch nicht sicher. Ohne Platz dort hätte ich erneut Geld für die Heimfahrt gebraucht.
Genug von mir – was tun andere in dieser Situation?
Kein Geld, um auf eine Job-Messe zu fahren
Ein junger Kollege beklagte, er sei zwar ebenfalls Diplom-Psychologe, aber ohne Arbeit. Und er wolle in die Wirtschaft. Ich schlug vor: „Gehen Sie doch zu Hochschulmessen und reden dort mit Personalern und Recruitern!“ Das gehe nicht. Dazu habe er kein Geld. Ich bekam einen gehörigen Schreck. Da musste ja im Vorfeld einiges schief gelaufen sein. Hätte er nicht besser deutlich früher überlegt, neue Richtungen einzuschlagen?
Startkapital beschaffen, um mobil zu sein
Wer sich nicht bewegen kann, kann sich nicht bewerben. Also muss etwas Geld her. Es gibt Möglichkeiten, nicht jede/r will sie. Rasen mähen respektive Schnee schippen und dafür ein Honorar erbitten (In einer Gegend, wo viele ältere Menschen leben, gibt es einen Markt für diese Dienstleistungen). Oder Nachhilfe geben.
Eine andere hübsche Idee: Crowdfunding in eigener Sache. Da bittet jemand Menschen, in seine Zukunft zu investieren und ihr Geld später gut verzinst zurück zu erhalten. Wer Geld hat und ihm für dieses Projekt keines gibt, glaubt nicht an das Konzept, an das Potenzial, an den Markt. Wenn niemand etwas gibt, dann hat das vermutlich gute Gründe. Nach einigen Versuchen und vielen Ablehnungen suche man einen anderen Markt, ein neues Angebot, eine bessere Argumentation. Sie kennen das Verfahren: „Mein Lieblingsproblem ist das Problem, das ich am liebsten löse. Wer benötigt und bezahlt meine Lösung?“
Geld für das Selbstmarketing beschaffen
Ein hochkarätiger Absolvent – leider mit nicht von Arbeitgebern gesuchter Studienrichtung – bewarb sich als Lagerarbeiter. Innerhalb kurzer Zeit konnte er einen kleinen Puffer ansparen. Und bekam danach eine Stelle an der Uni.
Ein Workshop-Teilnehmer berichtete, er habe sich mit Online-Poker finanziert. Wir haben dann gefachsimpelt, ob bzw. wie er das in Bewerbungen erwähnen sollte.
Eine Germanistin wurde Chef-Sekretärin. Ihr Jahresgehalt konnte sich sehen lassen.
Marshall Rosenberg, der Erfinder der Gewaltfreien Kommunikation, erzählte seine eigene Geschichte: Er wollte Frieden stiften – und benötigte dafür Sponsoren. Also ging er „Schnorren“, so nannte er seine spezielle Art des Fundraisings.
Vielleicht benötigen auch Sie bis zur honorierten Lösung Ihrer Lieblingsprobleme eine Zwischenfinanzierung. Diese hat noch einen weiteren Vorteil.
Plan B macht attraktiv
Jobsuche ist wie Flirten. Sobald ich eine Frau finden MUSS, habe ich schlechte Karten. Von weitem ist zu sehen, dass ich immens unter Druck stehe. Wer will so einen?
Besser ist, wenn ich überzeugt davon bin, dass mir Chancen begegnen. Dann bin ich entspannter und bekomme leuchtendere Augen. Sympathischere Fältchen.
Zurück zur Jobfrage. Gut ist, wenn Menschen davon überzeugt sind, dass sie mit Ihnen tolle Sachen bewegen können. Noch besser ist, wenn Menschen spüren, dass Sie eine gewisse souveräne Unabhängigkeit leben. Wer will schon Abhängige? Wer will schon Lebenspartner, die nur noch da sind, weil sie nicht weg können?
Ich selbst umgebe mich lieber mit Menschen, die bei fehlender Passung „Nein“ sagen. Tu ich auch.
Also sorge ich dafür, dass ich – gemeint ist die Arbeit! – eine Alternative habe. Sie muss nicht einmal toll sein. Sie muss nur existieren.
Alles auf eine Karte?
Der Kandidat zielte auf eine Stelle, von der es in ganz Europa nur 4 gab. „Da kannst Du gleich Lotto spielen!“ lautete ein Kommentar. Ob nicht eine andere Vorgehensweise erfolgversprechender sei, nämlich 10 kleine Boote aufs Wasser zu setzen und dort weiter zu investieren, wo eines gut fahre? Nun… er hat eine solche Stelle bekommen und seit Jahren inne.
Natürlich haben Zwischenschritte auch ihre Nachteile: Auch so genannten einfache Tätigkeiten bekommt man nicht automatisch leicht. Und wenn sie dann noch Fulltime laufen, bleiben wenig Zeit und Energie für Bewerbungsaktivitäten. Also kommt es auf eine passende Mischung an.
Stolz? Angst?
Meine Eltern hätten mir jederzeit zu Essen gegeben. Ich wollte sie damals nicht fragen und zog das trockene Brötchen vor. War das klug? Stand mir mein Stolz im Wege? Weiß nicht.
Viele nutzen das Wort Stolz als Synonym für Angst, das Gesicht zu verlieren, sich zu blamieren. Manch ein Akademiker sagte: „Diese niederen Dienstleistungen sind doch weit unter meinem Niveau, unter meinen Möglichkeiten, unter meinem Marktpreis.“ Na und? Ich selbst habe als Psychologe Anzeigen verkauft. Damit habe ich nicht nur prima Geld verdient, sondern auch äußerst nützliche Erfahrungen erarbeitet, mit denen ich heute als Workshop-Moderater punkte. Verkaufserfolge, Führungserfahrung, Insiderwissen, Verhandlungsgeschick. Und parallel dazu den Dr. geschafft.
Zwischenschritte sind oft lehrreich und nützlich.
Manchmal sind die Umwege die besseren Wege. Sie führen zu neuen Kontakten, fremden Gedanken, anderen Chancen. Oder in die Irre.
So lautet die wichtigste Erkenntnis aus meinen schwierigen Zeiten: Stell Dich auf Überraschungen ein. Auch auf positive.
Du findest einen Weg. Deinen.